Stell dir vor, du sitzt in deinem Familienschiff und weißt nicht so richtig, wo die Reise hingeht. Sollt ihr jetzt nach rechts um die Insel vor euch herum fahren oder lieber direkt drauf zu und eine Rast machen? Und dann siehst du plötzlich die Spitze eines Eisberges vor dir auftauchen. Jetzt kannst du nicht mehr agieren, du musst reagieren und das Ruder herumreißen, egal, ob dadurch alle auf eurem Familienschiff heftig durchgerüttelt werden. Wie schön wäre es doch gewesen, schon eher zu bemerken, dass ihr auf diesen Eisberg zusteuert. Was hättest du anders machen können, um nicht schnelle Schadensbegrenzung betreiben zu müssen, sondern entspannt in Richtung Insel oder ein fernes Traumland reisen zu können? Vielleicht wäre ein Fernglas hilfreich gewesen oder eine Karte, auf der solche Eisberge und andere Hindernisse eingezeichnet sind. Vielleicht wäre es auch hilfreich gewesen, nicht permanent allein am Steuer zu sitzen und dabei so müde zu werden. Oder vielleicht sitzt du zwar nicht allein am Steuer, aber du liegst mit deinem Partner oder deiner Partnerin im Streit über die Richtung, in die es gehen soll. Dabei übersieht man schnell mal ein Hindernis. Und dann ist da ja noch die Umwelt deines Familienschiffes, die auch Einfluss auf euer Vorwärtskommen nimmt. Wie ist das Wetter? Befindet ihr euch gerade im kalten Regenwetter der kollektiven Angst? Oder scheint die Sonne, die Menschen sind freundlich und fröhlich und vollen Tatendrang?
Wozu brauchst du Systemisches Denken?
Das Familienschiff ist ein Bild für das Familiensystem. Systemisches Denken kann dabei helfen, klarer zu sehen und beim nächsten Mal nicht vom Eisberg überrascht zu werden, sondern langfristig in die gewünschte Richtung zu segeln und eventuelle Hindernisse früh zu erkennen und zu umschiffen. Es ermöglicht dir quasi die Vogelperspektive auf dich und deine Familie. Dadurch siehst du Zusammenhänge, die du vorher nicht sehen konntest.
Was ist ein System?
Im systemischen Denken gibt es das System und die Umwelt des Systems. Ein System besteht aus dem Zusammenspiel verschiedener Komponenten. Es ist mehr als die Summe seiner Teile. So bildet ihr als Familie ein ganz eigenes System, welches aus euch Familienmitgliedern sowie eurer Familienmentalität usw. besteht. Die Systemumwelt hat Einfluss auf das System, kann aber nicht direkt auf es einwirken.
Beispiel Elternzeit
Deine Familie erhält den Impuls aus der Politik, die Familienarbeit gleichberechtigter aufzuteilen. Dazu hat die Politik Gesetze erlassen, die beiden Elternteilen das Recht zusprechen, drei Jahre Elternzeit unter sich aufzuteilen und eine gewisse Zeit Elterngeld als finanziellen Ausgleich zu erhalten. Trotz des Wunsches der Politik und einer Gesellschaft, die Gleichberechtigung groß-schreibt, ist die gleichberechtigte Aufteilung von Familienarbeit momentan die Ausnahme. Im Volksmund hat sich der Begriff der zwei Vätermonate eingebürgert. Es ist also teilweise sogar das Gegenteil zum Ansinnen der Gleichberechtigung passiert. Die Politik kann nicht machen, dass ihr eure Elternzeit gleichberechtigter aufteilt. Denn euer Familiensystem funktioniert auf eine Art und Weise – vielleicht mit traditionellen Rollenbildern, Gehaltsgefällen zwischen dir und deinem Partner/ deiner Partnerin, Existenzängsten oder anderem – die der Aufnahme des Impulses aus der Politik entgegenstehen.
Wobei kann dir das Bild vom Familienschiff helfen?
Überlege einmal, wer alles zu deinem Familienschiff gehört und wie ihr zueinander in Beziehung steht. Wo auf dem Schiff befinden sich deine Kinder? Wie fühlen sie sich dort? Wo bist du? Wer steuert das Familienschiff? Steuerst hauptsächlich du euer Schiff und das bis zur Erschöpfung? Wird euer Familienschiff gerade von einer stürmischen See umher geworfen, sodass du dein Gleichgewicht oft nicht mehr findest? Oder ist die See ruhig und du kannst entspannt steuern, das Segel zur Unterstützung hissen und zwischendurch auf dem Sonnendeck ausruhen und neue Kraft für den weiteren Weg tanken. Klarer zu sehen, wie ihr als Familie zusammen seid, ist der erste Schritt zur Veränderung. Dann wird dir vielleicht deutlich, dass du dich mit deinem Partner oder deiner Partnerin am Steuer abwechseln solltest. Oder du bemerkst, dass der Sturm um euch herum gerade alle Aufmerksamkeit fordert und du deine Ressourcen sehr genau einteilen musst. Vielleicht ist es dann auch dran, Unterstützung zu suchen. Der Blick aus der Vogelperspektive ist auf jeden Fall ein erster Schritt zur Veränderung.
Ich würde mich freuen, wenn du in den Kommentaren unten deine Erkenntnisse aus dem Bild des Familienschiffs mit uns teilen magst. Hast auch du schon die Erfahrung gemacht, viel zu oft allein am Steuer zu stehen? Wann wechselst du dich mit deinem Partner, deiner Partnerin ab? Gibt es Zeiten, in denen das besser oder schlechter funktioniert?
Ein Interview zum systemischen Denken mit Silvia Vater, Lehrende des Systemischen Zentrums der Wispo AG Frankfurt, findest du unter: https://www.youtube.com/watch?v=t2RzCNuVHt4&t=217s Die Ergebnisse einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zur Inanspruchnahme der Elternzeit findest du unter: https://www.diw.de/de/diw_01.c.673478.de/elterngeld_und_elterngeld_p...wie_vorin_weiter_ferne.html